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Abfall — Nicht vor meiner Tür — Internationale Abfallverbringung und die Umwelt

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Article Veröffentlicht 23.02.2009 Zuletzt geändert 11.05.2021
Abfall ohne Grenzen: Zhang Guofu, 35, verdient 700 EUR im Monat — in der chinesischen Provinz ein stattlicher Lohn. Er sortiert Abfall, in dem Einkaufstüten einer britischen Supermarktkette ebenso vorzufinden sind wie englischsprachige DVDs. In der heutigen Abfallwirtschaft kommt es nicht selten vor, dass der Abfall aus einer Mülltonne in London 5 000 Meilen entfernt in einer Recyclingfabrik im chinesischen Pearl-Flussdelta landet.

Heutzutage werden alle möglichen Arten von Abfall auf die Reise geschickt. Immer größere Abfallmengen, insbesondere Altpapier, Kunststoffe und Metalle, werden von den Industrieländern in Länder mit weniger strengen Umweltauflagen verbracht. Auf den Weltmeeren sind tagtäglich riesige Schiffe unterwegs, die Waren aus den asiatischen Schwellenmärkten in den Westen transportieren. Statt leer zurückzufahren oder Ballast an Bord zu nehmen, sind die Schiffseigner nur allzu froh über die Gelegenheit, Abfälle aus Europa zum Recycling mit nach Asien zu nehmen.

Das bedeutet keineswegs, dass die Verbringung von Abfällen nicht geregelt ist. Sowohl die UN als auch die EU haben strenge Vorschriften erlassen, welche Abfälle an welche Orte verbracht werden dürfen. Auf globaler Ebene ist der internationale Handel mit gefährlichen Abfällen (Abfall, der für Mensch und Umwelt potenziell gefährlich ist) durch das Basler Übereinkommen der Vereinten Nationen geregelt.

Das Exportverbot in diesem Übereinkommen wurde bisher jedoch erst von wenigen Staaten ratifiziert und kann auf globaler Ebene bislang nicht durchgesetzt werden. Gleichwohl gibt es in der EU Beschränkungen, die den Export von "gefährlichen Abfällen" nur in "entwickelte Länder" zulassen, die über die notwendigen Technologien zur Abfallbehandlung und ausreichende Sicherheits- und Umweltgesetze verfügen. In den Beschränkungen ist ein "entwickeltes Land" definiert als ein Mitglied der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Langfristiges Ziel der EU ist es, dass jeder Mitgliedstaat seinen Müll im eigenen Land entsorgen sollte (Grundsatz der Nähe und Entsorgungsautarkie). Da sich die Verbringung von zu entsorgendem Sonder- und Problemmüll aus den EU‑Mitgliedstaaten zwischen 1997 und 2005 nahezu vervierfacht hat, scheint dieses Ziel jedoch in weiter Ferne zu liegen.

Für den Abfallexport und import gibt es verschiedene Gründe: Verfügbarkeit spezieller Behandlungstechnologien, Materialknappheit, Preisunterschiede bei der Entsorgung oder Wiederverwertung.

Auch die EU-Politik trägt mit ihren Recyclingvorgaben dazu bei, dass Mitgliedstaaten, die ihre Zielvorgaben im eigenen Land nicht erfüllen können, ihren Müll in andere Länder verbringen. Das Abfallaufkommen auf den Märkten hält die Kosten für ein Land wie China niedrig, das auf preiswerte Rohstoffe angewiesen ist. Solange dieser Abfall an seinem Bestimmungsort nicht zur Entsorgung vorgesehen ist und keine Gefahrstoffe enthält, wird dies als ein akzeptabler Handel angesehen.

Ist Ihr alter Fernseher vielleicht schon weiter gereist als Sie?

In Europa gibt es umfassende Regelwerke für die Verbringung von gefährlichen und problematischen Abfällen. Inwieweit diese Rechtsvorschriften zur wirksamen Entlastung der Umwelt beitragen, steht jedoch noch nicht fest.

Ein gutes Beispiel ist Elektronikmüll, der als gefährlich eingestuft ist. In Afrika und Asien sind für die Zerlegung von Elektronikschrott oftmals nur sehr wenige oder keinerlei persönliche Schutzausrüstungen oder Umweltschutzmaßnahmen vorhanden. Die Bauteile werden häufig im Freien verbrannt, um Metalle zu extrahieren. Dabei werden gewöhnlich mit Schwermetallen befrachtete Flugaschepartikel und andere Giftstoffe freigesetzt, die für Menschen gefährlich sind und Nahrungsmittel, Böden und Oberflächengewässer kontaminieren.

Über die Mengen der innerhalb und außerhalb der EU verbrachten Elektro- und Elektronik-Altgeräte kann nur spekuliert werden, was teilweise auf die Verwendung mehrdeutiger Codes für die Meldung von verbrachtem Elektronikschrott zurückzuführen ist. Es ist schwer zu beurteilen, ob ein Fernseher als Gebrauchtgerät (was akzeptabel ist) oder als zu entsorgender Abfall (was nicht akzeptabel ist) exportiert wird. Allgemein ist der Export von Elektro- und Elektronik-Altgeräten aus EU-Ländern in nicht der OECD angehörende Länder verboten. Gegen den Export eines noch funktionstüchtigen Fernsehers ist hingegen nichts einzuwenden.

Es sind Fälle belegt, in denen dieses Verbot umgangen wurde. Bei einem beträchtlichen Anteil der in Nicht‑OECD‑Länder exportierten Gebrauchtfernseher, Computer, Monitore und Telefone handelt es sich offenbar um Schrott, der mit dem Ziel aufgekauft wurde, die oben genannten Bauteile und Bestandteile zu extrahieren.

Wenn die EU ihr eigenes Exportverbot von Elektro- und Elektronik-Altgeräten in Nicht-OECD-Länder nicht ausreichend durchsetzen kann, könnte dies die Ratifizierung des Verbots auf globaler Ebene im Rahmen des Basler Übereinkommens ernsthaft gefährden.

Auf der Suche nach zuverlässigen Daten über Elektro- und Elektronikschrott

Trotz der Schwierigkeiten in Zusammenhang mit der Erhebung, Überprüfung und Auswertung von Abfalldaten hat die EUA zusammen mit dem Europäischen Umweltinformations- und Umweltbeobachtungsnetz (EIONET) die Abfallverbringungen aus der EU in andere Regionen analysiert.

Mithilfe der europäischen Handelsstatistik kann das Exportvolumen von gebrauchten Elektronik- und Elektroprodukten aus der EU in andere Regionen mengen-, größenordnungs- und wertmäßig beziffert werden ( Abbildung 1).

Im Jahr 2005 wurden Farbfernsehgeräte mit einem Gewicht von mehr als 15 000 Tonnen aus der EU in afrikanische Länder exportiert. Allein in Nigeria, Ghana und Ägypten trafen täglich rund 1 000 Fernsehgeräte ein. Der durchschnittliche Wert der nach Afrika exportierten Farbfernsehgeräte ist sehr gering: In Afrika insgesamt lag der Preis pro Gerät bei durchschnittlich 64 EUR, und in den drei oben genannten Ländern bei durchschnittlich 28 EUR. Dagegen liegt der Wert der in Europa gehandelten Fernsehgeräte bei durchschnittlich 350 EUR.

Der niedrige Gerätepreis für nach Afrika exportierte Fernsehgeräte deutet darauf hin, dass es sich bei vielen Exporten um Gebrauchtprodukte handelt, die überwiegend als Elektronikschrott einzustufen sind.

Da sich diese Zahlen nur auf Fernsehgeräte beziehen, dürfte das gesamte Exportvolumen an gebrauchten Computern, Mobiltelefonen, CD‑Spielern usw. in diese Regionen noch weitaus größer sein. Daraus ist zu schließen, dass das EU-Verbot für den Handel mit gefährlichen Abfällen mit Nicht‑OECD‑Ländern andauernd missachtet wird.

Abb. 1 / Export von Farbfernsehgeräten aus der EU-25 nach Afrika, Asien, in den Nahen Osten, in die Vereinigten Staaten und in andere europäische Länder, 2005. Quelle: EUA.

 

Nicht gefährlicher Abfall

In der Zeit von 1995 bis 2007 ( Abbildung 2) hat der Export nicht gefährlicher Abfälle wie Papier-, Plastik-, und Metallabfälle aus der EU ebenfalls stark zugenommen. Die Abfälle gingen überwiegend nach Asien, insbesondere nach China.

Das nach Asien exportierte Altpapiervolumen hat sich verzehnfacht. Bei Plastik stieg das Volumen um den Faktor 11 und bei Metallen um den Faktor 5. Das Volumen der verbrachten Abfälle stieg auch innerhalb der EU, wenn auch auf deutlich niedrigerem Niveau.

Im Jahr 2007 wurde genauso viel Altpapier nach Asien verbracht wie innerhalb der EU. Die innerhalb der EU verbrachte Metallmenge war größer als die nach Asien verbrachte Menge. Die EU exportierte jedoch mehr Plastikmüll nach Asien als innerhalb der EU.

Abb. 2 / Entwicklungen bei der Verbringung von Altpapier als Beispiel für nicht gefährliche Abfälle außerhalb und innerhalb der EU im Zeitraum von 1995 bis 2007. Quelle: EUA.

 

Gründe für das Recycling

Seit mehr als zehn Jahren ist das Preisniveau für Rohstoffe sehr hoch. Dadurch ist der Wert von Sekundärrohstoffen, die durch Recycling wiedergewonnen werden, gestiegen.

Altmetalle, Altpapier, Plastikabfälle und andere Abfallstoffe aus Europa verleihen der aufstrebenden asiatischen Wirtschaft somit einen Wachstumsschub, der mit Primärrohstoffen nicht möglich wäre.

Auch die EU-Rechtsvorschriften (z. B. die Verpackungsrichtlinie), die die Mitgliedstaaten zur Erreichung bestimmter Recyclingraten verpflichten, schaffen indirekte Anreize zur Abfallverbringung zwecks Recycling.

Durch die EU-Vorgaben für die Recyclingraten ist das Aufkommen an recyclingfähigen Abfallstoffen auf dem Markt erheblich gestiegen. Beispielsweise stieg das Aufkommen recycelter Verpackungsabfälle (Papier und Karton) zwischen 1997 und 2005 von 24 auf 30 Mio. Tonnen. Das Aufkommen recycelter Kunststoffverpackungen schwoll im gleichen Zeitraum von rund 10 auf 14 Mio. Tonnen an. Ist dies gut für die Umwelt?

Die Verwendung von recycelten Abfallstoffen anstelle von Primärrohstoffen ist im Prinzip gut für die Umwelt. Beispielsweise wird bei der Herstellung von einem Kilo Papier aus recycelten Rohstoffen nur etwa halb so viel Energie verbraucht wie beim Einsatz von Primärrohstoffen. Für die Herstellung von Aluminium aus recyceltem Aluminium werden nur etwa 5 % der Energie benötigt, die für die Verarbeitung der Primärrohstoffe notwendig ist.

Allgemein trägt das Recycling also erheblich zur Verringerung der energiebezogenen CO2-Emissionen und anderer Umweltbelastungen bei.

Da wir jedoch oftmals nicht wissen, was mit dem Abfall geschieht, nachdem er einen europäischen Hafen verlassen hat, können wir nicht beurteilen, ob die Verbringung in diesem Fall und Abfallverbringungen allgemein gut oder schlecht für die Umwelt sind.

Ausblick

Innerhalb der EU müssen die zuständigen nationalen Behörden von der grenzüberschreitenden Verbringung von Abfällen zur Entsorgung und der Verbringung gefährlicher und problematischer Abfälle zur Wiederverwertung in Kenntnis gesetzt werden. Diese „nationale“ Notifizierung ist sehr detailliert. Die Europäische Kommission erhält jedoch lediglich eine Zusammenfassung dieser Daten. Daher können auf EU-Ebene nur grobe Übersichten erstellt werden.

Wenn der EU ausführlichere Informationen, insbesondere über die verbrachten Abfallarten, vorliegen würden, wäre eine wesentlich bessere Beurteilung der Umweltfolgen und wirtschaftlichen Konsequenzen der Verbringungen möglich. Diese Daten würden Aufschluss über die Gründe der Abfallverbringung geben, beispielsweise bessere Behandlungsmöglichkeiten, höhere Kapazitäten oder attraktivere Preisgestaltung. Wir könnten besser nachvollziehen, welche Rolle niedrigere Standards, fehlende Rechtsvorschriften und eine schlechtere Durchsetzung der Vorschriften als Anreiz für die Abfallverbringung in weniger entwickelte Regionen spielen. Ein genauerer Überblick über legale Verbringungen auf EU-Ebene würde auch bessere Anhaltspunkte für illegale Verbringungen geben.

Da diese Art der Berichterstattung auf nationaler Ebene bereits erfolgt — viele Länder erstellen bereits ausführliche nationale Statistiken über Abfallimporte und exporte — würde die zusätzliche Meldung den Aufwand für die Mitgliedstaaten nicht wesentlich erhöhen.

Referenzliteratur

Basel Action Network 2002: Exporting Harm.The high-tech trashing of Asia, February 2002.

EUA, 2007. Die Umwelt in Europa — Der Vierte Lagebericht, 2007.

EUA, 2008. Weniger Treibhausgasemissionendurch bessere Siedlungsabfallwirtschaft. EEA Briefing Nr. 1/2008.

EUA, 2009. Environmental impacts from import and export of waste (in Vorbereitung).

ETC/RWM, 2008. Transboundary shipments of waste in the EU.

Europäische Kommission, 2007.Berichterstattung der EU-Mitgliedstaaten gemäß der Entscheidung der Kommission über einen Fragebogen für die Berichterstattung der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 41 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 259(93 des Rates.

IMPEL (Europäisches Netz zur Anwendung des Umweltrechts der Gemeinschaft), 2005. Threat Assessment Project, the illegal shipments of waste among IMPEL Member States, Mai 2005.

Greenpeace 2008: Chemical Contamination at E-waste recycling and disposal sites in Acra and Korforidua, Ghana — Greenpeace Research Laboratories, Technical Note 10/2008, August 2008.

Secretariat of the Basel Convention, 2007. 

The Sun Newspaper, 5. August 2008.

 

 


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