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Welche Wege gehen Städte in Europa, um sich an den Klimawandel anzupassen und eine nachhaltige Zukunft zu gestalten?

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Article Veröffentlicht 19.05.2021 Zuletzt geändert 04.06.2021
5 min read
Photo: © Jacqueline Brandwayn on Unsplash
Die Anpassung an die Folgen des Klimawandels zählt zu den obersten Prioritäten in der Europäischen Union. Was bewegt Städte dazu, Maßnahmen einzuführen, um die Auswirkungen des Klimawandels abzuschwächen und städtische Gebiete widerstandsfähiger und nachhaltiger zu machen? Wir wollten von Ivone Pereira Martins, der Expertin für urbane Nachhaltigkeit der Europäischen Umweltagentur(EUA), wissen, was die Agentur unternimmt, um diese wichtige Arbeit zu unterstützen.

Was tun die Europäische Union und die EUA für die Anpassung an den Klimawandel und insbesondere für die Nachhaltigkeit in Städten?


Die neue EU-Strategie zur Anpassung an den Klimawandel, die kürzlich von der Europäischen Kommission verabschiedet wurde, enthält Maßnahmenvorschläge, die unser Wissen zu diesem Thema verbessern und uns mehr und bessere Daten zu den Risiken und Verlusten durch den Klimawandel liefern sollen. Damit wird eine direkte Verbindung zu ClimateADAPT hergestellt, der europäischen Wissensplattform zum Thema Anpassung, die von der EUA entwickelt wurde und betrieben wird.

Auf ClimateADAPT findet sich eine Reihe bewährter Praktiken aus Städten, die bereits Anpassungsmaßnahmen ergriffen haben. Neu ist, dass die EU-Strategie anerkennt, dass die Anpassung Pläne und Maßnahmen auf jeder Entscheidungsebene erfordert. Zu den Prioritäten der Strategie zählen die Anerkennung lokaler Anpassungsmaßnahmen, der Einsatz naturbasierter Lösungen und die Einbindung anpassungsrelevanter Fragen in die Steuerpolitik auf Makroebene. Eine ausführliche Beschreibung der Art und Weise, wie Städte operieren, findet sich in unserem Bericht „Urbane Nachhaltigkeit in Europa – Treiber für Umweltveränderungen in Städten“, der in den kommenden Wochen veröffentlicht wird. Der Bericht wird von einer Kurzübersicht begleitet, die ein erstes Bild der wichtigsten Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Nachhaltigkeitsbestrebungen von Städten zeichnet.


Wie lauten die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Bericht?


Die EUA beschäftigt sich schon seit Langem mit urbanen Themen, wobei sich thematische Muster wie Verstädterung und Umweltverschmutzung oder Luftqualität im städtischen Raum, Lärmbelästigung und Anpassung an den Klimawandel herauskristallisiert haben. Mit dem neuen Bericht starten wir eine Reihe von Analysen, die den Beitrag von Städten zu den Umweltzielen auf integrierte Weise behandeln. Für diesen ersten Bericht wurden Städte mittels einer Erhebung und Befragungen direkt angesprochen, da wir verstehen wollten, wie urbane Umweltveränderungen als Teil des Wandels hin zu einer nachhaltigeren Gesellschaft angestoßen werden. Der Bericht ist untersucht, wie Städte die zentralen Treiber und Barrieren auf dem Weg hin zur urbanen Nachhaltigkeit bewerten, und kann als Benchmark dienen.

Unter allen begünstigenden Faktoren, die in der Untersuchung ermittelt wurden, fallen einige besonders stark ins Auge. Es hat sich gezeigt, dass es kein Universalkonzept gibt. Stattdessen lassen sich die Treiber und Barrieren in sieben Hauptgruppen unterteilen: Kontext, Governance, Wissen, Kultur, Technologie, Daten und Informationen sowie Finanzen. Erwähnenswert ist, dass die Agentur für diese Studie erstmals direkt Städte angesprochen hat, und zwar mit Hilfe eines Design-Thinking-Projekts, das eine Nachverfolgung erlaubt.


Wie wirkt sich die Corona-Pandemie bisher auf Städte aus?


Die kompletten Auswirkungen von Covid-19 auf die urbane Nachhaltigkeit werden noch erforscht. Die Pandemie hat unsere Lebensweise durch die zunehmende Verwendung digitaler Dienste und die verstärkte Arbeit im Homeoffice verändert. Dies hat sich auf die Stadtlandschaft ausgewirkt, mit dauerhaften Folgen für den Verkehr und die tägliche Fahrt zu Arbeit. In ähnlicher Weise dürfte sich auch die Nachfrage nach Wohn- und Büroraum ändern. Dies kann dazu führen, dass sich die Luftqualität verbessert und die Lärmbelästigung aufgrund des geringeren Verkehrs sinken wird.

Viel wird davon abhängen, wie die Länder Europas ihre Aufbau- und Resilienzplänegestalten, und – wichtiger noch –, wie sie die Rolle von Städten dabei sehen. Städte haben bei der Unterstützung ihrer Bewohnerinnen und Bewohner im Verlauf der Pandemie eine zentrale Rolle eingenommen, nun werden die Kommunalverwaltungen bei der Erholung von der Pandemie und der Umsetzung des europäischen Green Deals gefragt sein. Die demnächst veröffentlichte Kurzübersicht der Agentur analysiert die ersten Auswirkungen der Pandemie auf die Umwelt und den Klimawandel. Behandelt werden die Themen Mobilität und Erreichbarkeit, die Renovierungswelle und die Modernisierung von Gebäuden, die Bedeutung grüner Flächen, naturbasierte Lösungen und die Rolle lokaler, in Städten angebauter Lebensmittel.


Werden in den Analysen auch fachliche und praktische Ratschläge oder Wege zur Nachhaltigkeit aufgezeigt, die die vielen Städte in Europa gehen können?

Die Arbeiten der EUA richten sich an ein breites Publikum. Wir arbeiten mit Ländern, europäischen Institutionen und Organisationen und auch mit der Zivilgesellschaft in Europa zusammen. Während das Mandat der Agentur keine direkte Zusammenarbeit mit Städten vorsieht, leben 75 Prozent der Gesamtbevölkerung Europas in Städten. Unsere anstehenden Analysen verfolgen zwei Ziele: Sie betonen die Bedeutung der lokalen Ebene und die Bedeutung der Städte bei der Verwirklichung der ehrgeizigen Umwelt- und Klimaziele, die Europa sich gesetzt hat.

Unsere Arbeit verdeutlicht auch das große Engagement von Städten bei der Umsetzung der Ziele, und sie sind manchmal sogar ehrgeiziger als die nationale Ebene. Bei der letzten Neuanpassung der Überwachung und Berichterstattung über die Umweltgesetzgebung im Jahr 2018 wurde festgestellt, dass 70 Prozent der EU-Umweltvorschriften auf lokaler Ebene umgesetzt werden.


Was sind die wichtigsten Lehren aus Ihrer vorläufigen Analyse?


Der Bericht liefert sehr interessante Einsichten, die in den untersuchten Städten gewonnen wurden und die sich direkt auf die Politikgestaltung der EU auswirken. Ein zentraler Punkt ist, dass den Rechtsvorschriften und politischen Handlungsrahmen der EU große Bedeutung für die Beschleunigung nachhaltiger Veränderungen im städtischen Raum beigemessen wird. Ganz entscheidend ist auch der Zugang zu europäischen, nationalen und privaten Mitteln. Zudem sind urbane Netze und fokussierte Partnerschaften wichtig, um den städtischen Nachhaltigkeitsbestrebungen Nachdruck zu verleihen. Gleichzeitig sind Städte sehr heterogene Gebilde, so dass die Wege zur Nachhaltigkeit auf den lokalen Kontext abgestimmt werden müssen. Von der lokalen Ebene ausgehende Visionen und strategische Planungen zur Nachhaltigkeit bilden den wichtigsten Grundpfeiler für künftige Maßnahmen.


Welche anderen Arbeiten auf dem Gebietsind in Vorbereitung ?


Wir arbeiten derzeit an vier Strängen gleichzeitig. Ein Strang ist die Fortsetzung der Arbeiten, die über die gesamte Agentur hinweg stattfinden. Dazu zählen die laufenden Analysen der Anpassung an den Klimawandel, der Luftqualität und der Lärmbelästigung im urbanen Kontext, die Arbeiten zu Copernicus und seiner lokalen Komponente „Urban Atlas“, naturbasierte Lösungen, Mobilität und Erreichbarkeit sowie die Nachrüstung von Gebäuden oder Kreislauflösungen. Ein Auszug dazu wird in einem demnächst veröffentlichten Bericht über unsere Nexus-Analyse zu finden sein, die eine analytische Top-Down-Perspektive einnimmt. Diese Analyse betrachtet acht Themen in Verbindung mit urbaner und ökologischer Nachhaltigkeit, die in einem Stakeholder-Prozess als Schwerpunkte gewählt wurden. Im Mittelpunkt stehen Klimaresilienz, Lebensqualität, Erreichbarkeit, gesunde Umwelt, Ernährungssicherheit, Kreislaufwirtschaft, saubere Energien und nachhaltige Gebäude – alles auf städtischer Ebene.

Darüber hinaus wollen wir engere Beziehungen zu allen relevanten Interessenträgern aufbauen. Wir planen daher, uns zu diesem Thema stärker zu vernetzen, und zwar durch die Einrichtung eines gemeinschaftlichen Forums über urbane Nachhaltigkeit, in dem Informationsaustausch, Netzwerken und gezielte Partnerschaften stattfinden können. Zudem überlegt die EUA, wie all dieses Wissen ähnlich wie bei anderen EU-Initiativen auf breiterer Basis weitergegeben und mit anderen geteilt werden kann.

Ivone Pereira Martins
Expertin für urbane Nachhaltigkeit

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