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Die Umwelt in Europa: Der zweite Lagebericht

5. Troposphärisches Ozon

Seite Zuletzt geändert 19.04.2016
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5. Troposphärisches Ozon


Wichtigste Erkenntnisse


Die Ozonkonzentrationen in der Troposphäre (von der Erdoberfläche bis zu einer Höhe von 10 bis 15 km) über Europa liegen - bedingt durch die massive Zunahme der Stickstoffoxidemissionen aus Industrie und Verkehr seit den fünfziger Jahren - in der Regel drei- bis viermal höher als vor der Industrialisierung. Eine präzise Bestimmung der Tendenzen beim Auftreten von hohen Ozonkonzentrationen ist aufgrund der jährlichen meteorologischen Schwankungen nicht möglich.


Die Grenzwerte, die zum Schutz der menschlichen Gesundheit, der Vegetation und der Ökosysteme festgelegt wurden, werden in den meisten europäischen Staaten häufig überschritten. In der Zeit von März bis Oktober 1995waren in der EU etwa 700 stationäre Behandlungsfälle (75 % davon in Frankreich, Italien und Deutschland) vermutlich auf Ozonkonzentrationen zurückzuführen, die über den als gesundheitlich noch unbedenklich geltenden Grenzwert hinausgingen. Etwa 330 Millionen Menschen in der EU sind zumindest einmal jährlich einer Überschreitung der kritischen Belastung ausgesetzt.


Der für den Schutz der Vegetation festgelegte Schwellenwert wurde 1995 in den meisten EU-Ländern überschritten. Verschiedene Länder meldeten für einzelne Standorte Werte, die an mehr als 150 Tagen über der zulässigen Höchstkonzentration lagen. Im selben Jahr wurden fast auf der gesamten Wald- und Ackerlandfläche der EU Überschreitungen festgestellt.


Die Emissionen der wichtigsten Ozonvorläufersubstanzen - Stickstoffoxide und flüchtige organische Verbindungen ohne Methan (NMVOC) - nahmen bis Ende der achtziger Jahre zu und gingen dann zwischen 1990 und 1994 um 14 % zurück. Der Verkehrssektor ist der Hauptverursacher der Stickstoffoxidemissionen. In Westeuropa stammen auch die meisten NMVOC-Emissionen aus dem Verkehrssektor, in Mittel‑ und Osteuropa sowie in den NUS hingegen aus der Industrie.


Ein Erreichen der Zielvorgaben für die Emissionen von Stickstoffoxiden entsprechend dem Übereinkommen über weiträumige grenzüberschreitende Luftverschmutzung und dem Fünften Umweltaktionsprogramm würde im Bereich der Ozonspitzenkonzentrationen lediglich zu einer Verringerung von 5 bis 10 % führen. Ob die langfristige Zielvorgabe der Einhaltung der Grenzwerte erreicht werden kann, hängt entscheidend von einer Reduzierung der gesamten Ozonkonzentrationen in der Troposphäre ab. Dazu sind Maßnahmen im Hinblick auf die Emissionen der Vorläuferschadstoffe (Stickstoffoxide und NMVOC) erforderlich, die sich auf die gesamte nördliche Hemisphäre erstrecken müssen. Ein erster Schritt ist die Festlegung weiterer Emissionsgrenzwerte in den einzelnen Ländern nach Maßgabe des neuen, mehrere Auswirkungen und mehrere Schadstoffe betreffenden Protokolls.



5.1. Einleitung


Schon seit mehreren Jahrzehnten ruft der gemeinhin als “Sommersmog” bezeichnete photochemische Smog bei vielen Menschen in Europa Atembeschwerden hervor. Bei Pflanzen kann er zu schweren Schädigungen führen. Sommersmogperioden treten in weiten Teilen Europas jedes Jahr auf.


Sommersmog entsteht durch photochemische Reaktionen aus einer Reihe von Gasen, die in der Troposphäre - der bodennahen Schicht der Atmosphäre bis zu einer Höhe von 7 bis 15 km - vorhanden sind. Zu den wichtigsten Vorläufersubstanzen zählen Stickstoffoxide (NOx, alsoNO und NO2), flüchtige organische Verbindungen (VOC), Methan (CH4) und Kohlenmonoxid (CO). Diese Schadstoffe entstehen bei den verschiedensten menschlichen Tätigkeiten, darunter bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe vor allem im Verkehrsbereich sowie bei der Verwendung von Erzeugnissen mit organischen Lösemitteln.


Zwar sind die anthropogenen Emissionen der Vorläufersubstanzen NOx und VOC seit dem Dobris-Lagebericht zurückgegangen, doch wurden die international vereinbarten Ziele für Emissionssenkungen nicht erreicht. Unter dem Einfluß von Sonnenlicht entstehen aus den Vorläuferstoffen eine Reihe von chemischen Verbindungen, die als photochemische Oxidationsmittel (Photooxidantien) bezeichnet werden.


Wichtigstes Photooxidans aufgrund seiner weiten Verbreitung und Toxizität ist das Ozon (O3). Die zum Schutz der menschlichen Gesundheit, der Vegetation und der Ökosysteme festgelegten Schwellenwerte für die Ozonkonzentrationen werden in den meisten europäischen Ländern häufig überschritten. Die anderen Photooxidantien stellen in den derzeit in der Umwelt beobachteten Mengen nur eine geringe Gefahr für die Gesundheit oder die Vegetation dar. In höheren Konzentrationen führt jedoch bekanntermaßen Peroxyacetylnitrat (PAN) ähnlich wie Ozon zu einer Reizung des Atmungssystems und zur Schädigung von Blättern (WHO, 1996a, 1996b).


Die Ozon-Episodenkonzentrationen treten zusätzlich zur Hintergrundkonzentration auf, die sich seit den fünfziger Jahren annähernd verdoppelt hat (Staehelin et al., 1994). Da die Zunahme der Hintergrundwerte vor allem auf weltweite Erhöhungen der NOx-Konzentrationen zurückgeht, wird die über Europa liegende Ozonmenge auch von Emissionen aus anderen Kontinenten beeinflußt. Das in der Troposphäre befindliche Ozon spielt auch bei der Klimaveränderung eine Rolle. Derzeit geht man davon aus, daß bodennahes Ozon 16 % der globalen Erwärmung, wie sie durch die bisher emittierten anthropogenen Treibhausgase verursacht wird, verursacht (siehe Abschnitt 2.3).


Die Prozesse der Bildung von Photooxidantien und deren Wirkungen sind komplex und mit anderen Umweltproblemen verbunden (siehe Kasten 5.1 und 5.2). So werden die gesundheitlichen Wirkungen durch die Einflüsse des in der Luft vorhandenen Schadstoffgemischs noch verstärkt. Da Photooxidantien über große Entfernungen und über Landesgrenzen hinweg transportiert werden, bedarf es internationaler Anstrengungen, um einheitliche Konzepte für die Emissionsverringerung aufzustellen (Grennfelt et al., 1994). Ein Beispiel dafür ist das neue auf mehrere Auswirkungen und mehrere Schadstoffe bezogene Protokoll im Rahmen des UNECE-Übereinkommens über weiträumige grenzüberschreitende Luftverschmutzung.



Kasten 5.1: Ozonbildung


Ozon wird in der Troposphäre und der belasteten Grenzschicht gebildet, die sich vom Boden bis in eine Höhe von 100 bis 3000 m erstreckt. Es entsteht durch die Oxidation von VOC und CO bei gleichzeitigem Vorhandensein von NOx und Sonnenlicht. In der belasteten Grenzschicht agieren die reaktionsfähigeren VOC als “Treibstoff”, während der Prozeß in den höher gelegenen Bereichen vor allem durch die Oxidation von CH4 und CO vorangetrieben wird. Die Ozonbildung verringert sich in der Regel bei Anwesenheit des Katalysators NO.


Die Vorgänge, die zu diesen verschiedenen Ozon-Konzentrationsmustern führen, sind äußerst vielschichtig. Daher können Maßnahmen, die auf eine Reduzierung ihres Auftretens und Schweregrades gerichtet sind, eine gegenteilige Wirkung zur Folge haben, wenn ihnen keine fundierten Kenntnisse der hierbei ablaufenden photochemischen Reaktionen zugrunde liegen. Beispielsweise kann sich frisch emittiertes NO in belasteten städtischen Bereichen sofort mit Ozon verbinden und damit dessen Konzentration abbauen. Aufgrund dieser und anderer chemischer Reaktionen kann eine Senkung des NOx-Ausstoßes zu einer Erhöhung der Ozonwerte in Großstädten führen (siehe Kasten 5.2). Unter diesen Umständen bilden VOC den Ausschlag, so daß deren Emission reduziert werden muß, um eine Verringerung der Ozonwerte zu erreichen. In weniger belasteten Gebiete wiederum gilt es, eine Senkung der NOx-Emissionen und nicht so sehr der VOC herbeizuführen. Die Situation kann sogar noch komplizierter werden, wenn sich nämlich der Hauptfaktor in der photochemischen “Suppe” aufgrund atmosphärischer Prozesse und der Abwanderung der Luftmassen aus Ballungsgebieten von VOC zu NOx wandelt.


Auf regionaler Ebene und im grenzüberschreitenden Maßstab ist die alleinige Bekämpfung von jeweils VOC oder NOx auf jeden Fall ineffektiv. Um das Problem allseitig zu verringern, bedarf es einer Eindämmung beider Arten von Emissionen. Für eine NOx-Reduzierung sprechen zudem die erheblichen gesundheitlichen Auswirkungen von NO2 und PAN (WHO, 1996a) sowie die Rolle von NOx im Zusammenhang mit Versauerung (Kapitel 4) und Eutrophierung (Kapitel 9 und 10).


Neben dem Ozon werden durch Einwirkung von Sonnenlicht auf VOC und NO noch eine Reihe anderer Photooxidantien gebildet. Dazu gehören Peroxyacetylnitrat (PAN), Salpetersäure, Sekundäraldehyde, Ameisensäure und verschiedene Radikale. Zu den Konzentrationen und Wirkungen dieser Substanzen liegen nur verhältnismäßig wenige Informationen vor. Da bei den derzeit auftretenden Werten signifikante Auswirkungen nicht zu erwarten sind, wurden für diese anderen Photooxidantien auch keine internationalen Richtlinien festgelegt (WHO, 1996a).



Kasten 5.2: Der Wochenendeffekt


Wie widersinnig eine alleinige Verminderung der NOx-Emissionen zum Zwecke der Ozonbekämpfung in Städten ist, wird anhand des “Wochenendeffekts” deutlich. Dumont (1996) berichtete, daß die Ozonwerte in belgischen Ballungsräumen an Wochenenden bedeutend höher waren als an anderen Tagen. In “Smog”-Sommern lag der durchschnittliche Nachmittagsspitzenwert an Samstagen und Sonntagen um etwa 20 % über dem in der Woche. Der Wochenendeffekt ist das Ergebnis geringerer NOx-Emissionen in belgischen Großstädten am Wochenende (30 % weniger als an anderen Wochentagen). Daten aus der Schweiz ergeben ein etwas differenzierteres Bild. Dort wurden je nach Witterungsbedingungen sowohl niedrigere als auch höhere Wochenendkonzentrationen ermittelt (Brönniman und Neu, 1997).


Die erhöhten Konzentrationen am Wochenende treten nur bei anfänglichen und relativ geringen NOx-Reduktionen ohne gleichzeitige ausreichende Verringerung der VOC auf. Um zu akzeptablen Ozonwerten zu gelangen und den anfänglichen gegenteiligen Effekt auszuschalten, müßte ein Großteil der Emissionen sowohl an NOx als auch an VOC verringert werden.



5. Troposphärisches Ozon (.pdf)

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