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Gemeinsame Nutzung von Naturschätzen

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Article Veröffentlicht 27.06.2011 Zuletzt geändert 21.03.2023
Photo: © EEA/John McConnico
Von den 8,2 Milliarden Tonnen an Rohstoffen, die 2007 in den 27 EU-Ländern verbraucht wurden, machten Mineralien 52%, fossile Brennstoffe 23%, Biomasse 21% und Metalle 4% aus. (SOER 2010)

Tausende Kilometer von Europa entfernt ziehen im indischen Bundesstaat Orissa, der an den Golf von Bengalen grenzt, unzählige Lastwagen vorbei. Dies ist Ostindien, legendärer Quell von Indiens Reichtum an Bodenschätzen und einst wichtige Rohstoffquelle für die weltweite Industrie. Der Reichtum an Bodenschätzen in dieser Region Indiens gehört noch immer zu den wertvollsten der Welt, und ihre industrielle Revolution steckt noch in den Anfängen.

Die in den Wäldern lebenden Ureinwohner haben viel zu verlieren und fast nichts zu gewinnen. Sie haben keinen Schutz, und ihre Rechte wurden niemals festgeschrieben oder entsprechend anerkannt. In einem kleinen Stammesdorf tief in den Wäldern des Distrikts Gajapati lebt Gangi Buhyan mit ihrem Ehemann Sukru Bhuyan und ihrer jungen Familie im und um den Wald herum.

Für etwa fünf Monate im Jahr ernähren sie ihre Familie von dem knapp 2 000 m2 großen Grundstück, das sie am Rande des Waldes um Raibada, ihr Dorf, bewirtschaften. Während dieser Zeit ernten sie auch Gemüse, Samen, Früchte, Medizinpflanzen und Baumaterialien (etwa Gras) aus dem Wald. Von diesen Vorräten leben sie weitere vier Monate. Ohne den Wald würden sie verhungern. Für die restlichen drei Monate sind sie gezwungen, in große Städte wie etwa Bangalore oder Mumbai zu ziehen, wo sie sich als Tagelöhner verdingen.

Reichtum unter der Erde – Armut auf der Erde

Orissa, an der Ostküste Indiens am Golf von Bengalen gelegen, ist mit einem Reichtum an verschiedenen Bodenschätzen gesegnet. Dieser Bundesstaat gilt als einer der ressourcenreichsten des Landes. Zudem zählen die Bodenschätze von Orissa zu den hochwertigsten weltweit.

Mit seiner Fülle an weitgehend unerschlossenen Vorkommen an Kohle, Eisenerz, Bauxit, Chromit, Kalkstein, Dolomit, Mangan, Granit, Zinn, Nickel, Vanadium und Edelsteinen macht dieser Staat gerade einen Riesenschritt in seiner Industrialisierung. Bei einigen Bodenschätzen macht Orissa sogar einen beachtlichen Teil der weltweiten Reserven aus, und zwar nicht nur, was die Mengen, sondern auch, was die Qualität betrifft. Daher stehen internationale Unternehmen Schlange, um sich Zutritt zu verschaffen.

Einige der Bodenschätze werden in Indien verwendet, ein beträchtlicher Anteil jedoch anderswo: in China, Japan, Südafrika, Russland, Korea, Thailand, Malaysia, Indonesien, der Ukraine, in Nepal, in den USA und natürlich in der Europäischen Union (Ota, A.B., 2006).

Bruchlinien unserer globalisierten Welt

Mit ihrer Kombination aus Reichtum unter der Erde und Armut darüber zeigt Orissa mehrere Bruchlinien unserer globalisierten Welt auf. Hier kommen Ungleichheit, der unablässige Drang nach natürlichen Ressourcen und Zwangsmigration zusammen. Der Bergbau in Orissa bringt der Region zwar wirtschaftlichen Nutzen, der Erlös wird jedoch höchst ungleichmäßig verteilt. Die in den Wäldern lebenden Stämme zahlen einen hohen Preis, da sich Bergbauunternehmen verstärkt Zutritt zu ihrem Land verschaffen wollen und so ihr gesamtes Hab und Gut in Gefahr bringen.

60% der Stammesvölker von Orissa leben auf Land, unter dem sich ein Reichtum an Bodenschätzen befindet. Nach herkömmlichem Brauch haben sie jedoch keinerlei Rechte auf dieses Land. Die Vertreibung von Eingeborenen zur Durchführung von Projekten im Zeichen der wirtschaftlichen Entwicklung, u.a. für den Bergbau, lässt sich seit geraumer Zeit beobachten. Das Ausmaß hat sich jedoch in den letzten Jahrzehnten verändert; im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung seit 1991 haben sich Anzahl und Radius der der Vertreibungen erhöht (Ota, A.B., 2006).

Auswirkungen der Ressourcennutzung Europas

Unsere wirtschaftliche Entwicklung und unser Reichtum in Europa hängen in hohem Maße von natürlichen Ressourcen ab. Unser Bedarf an Ressourcen übersteigt mittlerweile deren lokale Verfügbarkeit, so dass wir zunehmend auf fremde Ressourcen angewiesen sind.

Mehr als 20% der in Europa genutzten Rohstoffe werden importiert, und unser indirekter Rohstoffverbrauch ist noch weitaus höher, da wir auch im Ausland hergestellte Fertigwaren importieren.

Unsere Abhängigkeit von Importen ist vor allem bei Brennstoffen und Bergbauprodukten gravierend hoch. Europa ist aber auch Nettoimporteur von Viehfutter und Getreide für die europäische Fleisch- und Milcherzeugung. Ebenso importieren wir über die Hälfte unseres EU-weiten Fischbedarfs; nachdem wir unsere eigenen Gewässer leergefischt haben, tun wir das Gleiche nun anderswo.

Die Umweltbelastungen infolge von Ressourcenabbau und der Herstellung von Handelswaren, wie etwa Abfallaufkommen oder Wasser- und Energieverbrauch, haben Konsequenzen für die Herkunftsländer, manchmal in beachtlichem Ausmaß – etwa im Falle von Computern oder Mobiltelefonen, wo sie bisweilen um ein Vielfaches teurer zu stehen kommen als das Produkt selbst. Dennoch spiegeln sich diese Belastungen nur selten in Preisen oder anderen Signalen wider, welche die Kaufentscheidung der Verbraucher beeinflussen.

Ein weiteres Beispiel für die Einbettung natürlicher Ressourcen in Handelsgüter ist der Wasserbedarf in den Anbaugebieten für viele exportierte Lebensmittel- und Fasererzeugnisse. Eine derartige Produktion führt zu einem indirekten und oft impliziten Export von Wasserressourcen. So liegen etwa 84% des Wasserverbrauchs der EU in Zusammenhang mit Baumwolle außerhalb der EU, meist in wasserarmen Regionen mit intensiver Bewässerung.


Nähere Informationen und eine vollständige Liste der Quellenangaben finden Sie im SOER 2010 Synthesebericht SOER 2010 unter:
www.eea.europa.eu/soer/synthesis


 

 

Wohin der Profit unserer Natur fließt

Die Nutzung natürlicher Ressourcen ist mit einer Reihe ökologischer und sozioökonomischer Faktoren verbunden.

Die Ökonomie der Ökosysteme und Biodiversität (TEEB-Studie), eine umfassende Analyse der weltweiten wirtschaftlichen Bedeutung der Biodiversität, gibt Aufschluss über die Zusammenhänge zwischen dem Verlust an biologischer Vielfalt und Armut.

Die TEEB-Forscher befassten sich damit, die unmittelbaren Profiteure zahlreicher Funktionen der Ökosysteme und Biodiversität ausfindig zu machen. „Die Antwort“, so Pavan Sukhdev, Leiter der UNEP-Initiative Green Economy, „lautet überwiegend die Armen“. Am meisten betroffen sind Subsistenzwirtschaft, Viehzucht, Fischerei und informelle Waldwirtschaft – der überwiegende Anteil der Armen weltweit ist davon abhängig (EC, 2008).

Die Auswirkungen des Verlusts an biologischer Vielfalt in Indien haben zudem schwerwiegende Konsequenzen für die Frauen in ihrer Rolle als Sammler. Bei Studien in Stammesregionen der Bundesstaaten Orissa und Chattisgarh wurde nachgewiesen, wie Entwaldung zu einem Verlust von Erwerbsmöglichkeiten geführt hat, da Frauen zum Sammeln von Produkten des Waldes nunmehr die vierfache Entfernung zu Fuß zurücklegen müssen und keinen Zugang mehr zu Heilkräutern haben, da deren Bestände erschöpft sind. Dieser Verlust reduziert das Einkommen , steigert die Mühsal und beeinträchtigt die physische Gesundheit. Darüber hinaus haben Frauen in Dörfern stark bewaldeter Gebiete, wo ihr Beitrag zum Haushaltseinkommen größer ist als in Dörfern ohne natürliche Ressourcen, nachweislich einen höheren relativen Status innerhalb der Familie (Sarojini Thakur, 2008).

In Europa bleiben wir oft verschont von den direkten Folgen der Umweltzerstörung – zumindest kurzfristig gesehen. Für die Armen jedoch, die für Nahrung und Unterkunft direkt von der Umwelt abhängig sind, können diese Auswirkungen fatal sein. Die Schwächsten unserer Gesellschaft haben oftmals die größte Last infolge der Zerstörung unserer natürlichen Systeme zu tragen – und ziehen keinen oder nur geringen Nutzen daraus.

Der jährliche Verlust an natürlichen Ressourcen wird normalerweise auf unbeeindruckend wenige BIP-Prozentpunkte geschätzt. Wenn wir ihn jedoch aus menschlicher Sicht messen, ausgehend vom Gerechtigkeitsprinzip und unserem Wissen, wohin der Profit unserer Natur fließt, nämlich zu den Armen, so gewinnt das Argument für die Eindämmung derartiger Verluste beachtlich an Kraft.

Dies gilt auf der ganzen Welt. Es geht um das Recht der Armen unserer Welt auf Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung ihrer Existenz, die ihnen die Natur bietet – und die unersetzlich sind (EC, 2008).

ForestNaturkapital und Ökosystemleistungen

Die Begriffe „Naturkapital“ und „Ökosystemleistungen“ bilden das Kernstück der Diskussionen zur Beziehung zwischen Mensch und Umwelt. Um sie zu verstehen, müssen wir wissen, was die Ökosysteme tatsächlich für uns leisten.

Nehmen wir die Wälder als Beispiel. Wälder bieten uns verschiedenste Nahrungsmittel: Früchte, Honig, Pilze, Fleisch und vieles mehr. Eine richtige Bewirtschaftung bringt unserer Wirtschaft zudem einen nachhaltigen Fluss an Ressourcen wie etwa Holz. Darüber hinaus leisten die Wälder jedoch noch viel mehr. So tragen Bäume und Vegetation beispielsweise zu einem gesunden Klima auf lokaler und globaler Ebene bei, indem sie Schadstoffe und Treibhausgase aufnehmen. Der Erdboden baut Abfallstoffe ab und reinigt Wasser. Menschen reisen, um die Schönheit und Ruhe der Wälder zu genießen, oder um Freizeitaktivitäten zu betreiben, wie etwa Jagen.

All diese Leistungen – die Lieferung von Nahrung und Faserstoffen, die Regulierung des Klimas usw. – haben einen hohen Wert. Müssten wir Maschinen für diese Arbeit bezahlen, so wären dies unermessliche Summen. Daher sollten wir Ökosysteme als eine Art Kapital betrachten, das dem Eigentümer und oftmals auch anderen Menschen nah und fern (etwa im Falle der Klimaregulierung) seine Dienste anbietet. Wir müssen darum unbedingt auf die Bewahrung unseres Naturkapitals achten – also keine Überausbeutung des Ökosystems und keine maßlose Verschmutzung –, wenn wir diese überaus wertvollen Dienste auch weiterhin in Anspruch nehmen möchten.

Wert der biologischen Vielfalt in unseren Wäldern

Der Hauptgrund für den Verlust der Biodiversität in unseren Wäldern ist die Unterschätzung ihres wahren Wertes. Der Beschluss, einen Hektar an artenreichem Wald der Landwirtschaft oder einem Bauprojekt zu opfern, wird meist vom unmittelbaren Profit getragen. Die nicht messbaren ökologischen Leistungen dieser Ökosysteme finden nur marginale Beachtung.

Medizin in Indiens Wäldern

Neben der vielfältigen Flora und Fauna besitzt Indien auch ein Vorkommen an Heilpflanzen, das zu den reichsten der Welt zählt. Rund 8 000 Pflanzenarten werden von der indischen Bevölkerung regelmäßig als Medizin genutzt – 90 bis 95% davon stammen aus Wäldern. Weniger als 2 000 dieser Pflanzen sind offiziell in der indischen Heilkunst dokumentiert. Die Informationen zum Rest der Heilpflanzen sind nicht dokumentiert und werden als traditionelle Weisheiten mündlich weitergeben. Lediglich 49 Arten finden in der modernen Medizin Anwendung.

Biodiversität ist eine Art Versicherung gegen menschliche Krankheiten – eine Wissensdatenbank mit möglichen Heilmitteln für Krankheiten wie Krebs oder AIDS. So enthält etwa die Rinde des Chinarindenbaums einen Wirkstoff, der zur Bekämpfung von Malaria eingesetzt wird. Leider sind wir uns oftmals nicht bewusst, was es für einen schwerwiegenden Verlust für die Gesellschaft bedeutet, wenn eine Pflanzenart vom Aussterben bedroht ist.

Dieser Abschnitt basiert auf dem Bericht Green accounting for Indian states project: the value of biodiversity in India’s forests (Gundimeda et al., 2006).

Bleiben dürfen, wo man ist

Ein Merkmal der Globalisierung ist Bewegung – Bewegung von Menschen, Waren, Reichtum, Wissen, um nur einige zu nennen. Stillzustehen oder an Ort und Stelle zu bleiben zählt im Allgemeinen nicht zu den Menschenrechten, die wir als wichtig erachten. Die Waldbewohner von Orissa und viele andere möchten jedoch oft nur das: bleiben, wo sie sind, wo sie Nahrung und Unterkunft haben, in Kontakt mit ihrer Familie und ihren Stammesvertretern. Wo sie sich seit Generationen sicher und beschützt fühlen.

Angesichts der Massenmigration in Städte und Ballungszentren sollten wir an dieses Recht denken und den Menschen ermöglichen, zu bleiben wo sie sind.

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